30 Jahre Tschernobyl und die Energiepolitik heute
Was ist vor dreißig Jahren in Tschernobyl passiert und welche Lehren können wir daraus für die Zukunft der Energieerzeugung ziehen?
Was alle angeht, können nur alle lösen.
Friedrich Dürrenmatt
Heute reisen wir in der Zeit. Wie das geht? Wir schließen die Augen und denken uns dreißig Jahre zurück.
Der Tag der Katastrophe
April 1986, ein Uhr morgens: Im Kernkraftwerk Tschernobyl beginnt man mit den Vorbereitungen für einen Sicherheitstest, der am Tag darauf zur Katastrophe führen sollte. Es erscheint paradox, dass gerade ein Experiment, das die Notstromversorgung der Reaktoren prüfen und so die riskante Technik kontrollierbarer machen soll, den größten bisherigen Kernkraftunfall der Welt zur Folge haben wird. In der Nacht auf den 26. April führt eine Verkettung von technischen Defekten und menschlichen Fehlentscheidungen dazu, dass Reaktor 4 zu brennen beginnt und schließlich das 1000 Tonnen schwere Betondach weggesprengt wird. Reaktorblock 4 liegt nun unter freiem Himmel und schleudert große Mengen radioaktiven Materials in die Luft.
Das Szenario in Tschernobyl nennt man fachsprachlich einen Super-GAU. GAU, das ist die Abkürzung für den „Größten Anzunehmenden Unfall“, also jenen Störfall, auf den man in der Sicherheitstechnik ein System auslegt. Ein Kernkraftwerk muss einem GAU standhalten können, ohne dass radioaktives Material in die Umwelt gelangt. Was in Tschernobyl jedoch passiert ist, ist etwas, das man bis dato eben nicht erwartet hatte: Eine fatale Überschreitung des GAUs, ein nicht mehr vorherzusehender Unfall.
Bis heute ist umstritten, wie hoch die Zahl der Tschernobyl-Opfer tatsächlich ist. Von den ca. 200 Personen, die unmittelbar an den Löscharbeiten am Reaktor beteiligt gewesen waren, starben 31 in den Wochen danach an akuter Strahlenkrankheit. Die WHO geht derzeit von mindestens 8000 Todesopfern aus.
Die Frage nach der Vertretbarkeit
Atomenergie und ihre militärische und zivile Nutzung führte schon lange vor Tschernobyl zu einer regen Debatte über die Verantwortung der Wissenschaft und Politik. Vor allem Philosophen, Schriftsteller und Filmemacher haben sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gedanken über das prekäre Verhältnis des Menschen zur Atomenergie gemacht. In seinem berühmten Stück Die Physiker lässt der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt den Wissenschaftler Möbius resümieren: „Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf: der Untergang der Menschheit ist ein solches.“
Kurswechsel in der Energiepolitik
Der dreißigste Jahrestag des Atomunfalls von Tschernobyl ist ein Gedenktag, der zum Anlass genommen werden sollte, über alternative Energieformen nachzudenken. Die drohende Klimakatastrophe des 21. Jahrhunderts ist wie das Desaster von Tschernobyl menschengemacht. Um sie abzuwenden, ist ein radikaler Kurswechsel nötig – weg von der Nutzung fossiler Ressourcen hin zu erneuerbaren Energieträgern. Besonders in Österreich sind die Voraussetzungen für die Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Quellen ideal. Neben Wasser-, Wind- und Solarenergie spielt die feste Biomasse in Form von Holz eine wesentliche Rolle. Die Verbrennung von Holzpellets in Pelletkesseln liefert Wärme, die weder das Klima noch das Gewissen belastet. Wer mit Pellets heizt, nutzt einen CO2-neutralen heimischen Rohstoff und befreit sich aus der Abhängigkeit von Energieexporteuren wie Saudi-Arabien und Russland, deren politische Agenden im besten Fall zweifelhaft zu nennen sind.
Die Klimaerwärmung hat uns gelehrt, dass wir eine Verantwortung gegenüber unserem Planeten tragen. Tschernobyl hat uns gelehrt, dass wir eine Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft tragen. Die Suche nach einer Lösung der Energiefrage sollte von diesen beiden Erkenntnissen getragen werden. Dann könnten Zivilisationskatastrophen wie Tschernobyl und Fukushima zukünftig vielleicht verhindert werden.