In Fachkreisen werden sie schon seit Jahrzehnten diskutiert und auch im kollektiven Bewusstsein unserer Gesellschaft sind sie immer stärker präsent: Klimamodelle und Klimaszenarien.
Was genau ist unter einem Klimaszenario zu verstehen und wie sicher ist das Wissen über die Zukunft des Klimas eigentlich?
I had a dream, which was not all a dream.
Mit dieser Zeile beginnt Lord Byrons berühmtes Gedicht über eine Welt, in der apokalyptische Zustände herrschen. Die Sonne ist verschwunden, tiefe Finsternis und eisige Kälte sind über die Menschheit hereingebrochen.
Entstanden 1816 nimmt Darkness Bezug auf die eigentümlichen Wetterverhältnisse des damaligen Jahres, das als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Durch einen Vulkanausbruch in Indonesien einige Monate zuvor wurde eine solche Menge an Staubteilchen in die Erdatmosphäre geschleudert, dass die globalen Temperaturen aufgrund der gefilterten Sonneneinstrahlung signifikant sanken und abnorme Wetterphänomene auftraten. In Europa und Nordamerika machte sich anhaltender Nebel breit, Schnee fiel mitten im Juli und fortwährender Frost zerstörte große Teile der Ernte. Die Folge war eine katastrophale Hungersnot. Byrons Text ist ein gedankliches Experiment, inspiriert von realen Begebenheiten. Der Dichter imaginiert eine Zukunft in absoluter Finsternis und versucht zu ergründen, was eine solche Welt für Mensch und Natur bedeuten würde.
John Martin: The Last Man (1849)
Wissen über die Zukunft
Während Darkness die literarische Fiktion eines Autors des 19. Jahrhunderts ist, basieren moderne Klimaszenarien auf faktischem Wissen über Klimasysteme. Klimaforscher versuchen mithilfe komplizierter Modelle Entwicklungen des globalen Klimas abzuschätzen und mögliche künftige Szenarien zu erstellen. Dabei wird nicht außer Acht gelassen, dass es viele unsichere Variablen bei der Fertigung solcher Prognosen gibt. Meteorologen und Physiker müssen sich vereinfachter Modelle bedienen, um ein so komplexes System wie das Klima erfassen zu können. Unzählige äußere Einflüsse, die sich kaum vorhersehen lassen, können auf das Klima einwirken, ganz zu schweigen davon, dass auch der ambitionierteste Klimaforscher die hochkomplexen Aspekte und Dynamiken im System Klima (noch) nicht vollständig versteht. All das führt dazu, dass es nicht das eine gültige Klimaszenario geben kann und Forscher dementsprechend viele Varianten von Klimaszenarien erstellen. Die bekanntesten dieser Szenarien sind in den letzten Jahrzehnten vom IPCC, dem Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen, veröffentlicht worden. Diese 40 Einzelszenarien lassen sich in vier Szenariofamilien kategorisieren – nach den Gesichtspunkten Umwelt- oder Wirtschaftsorientierung und Globalisierung oder Regionalisierung. Was kann nun ein solches Szenario leisten? Neben konkreten Daten wie dem durchschnittlichen Anstieg der globalen Temperatur vermittelt es, wie eine Zukunft mit dem errechneten Klima aussehen könnte und macht die Auswirkungen des Klimawandels so vorstellbar.
Die vier Kernszenarien
Schauen wir uns zunächst Szenario A1 des IPCC genauer an: Angenommen wird hier eine Gesellschaft, die gekennzeichnet ist durch sehr rasches Wirtschaftswachstum und die schnelle Einführung neuer und effizienter Technologien. Die Bevölkerung wächst, die Welt ist homogen ohne große regionale Unterschiede, es finden verstärkt sozialer und kultureller Austausch statt. Die A1-Familie ist wiederum in drei Szenarien unterteilt, je nachdem, wie hoch der Einsatz fossiler im Vergleich zu erneuerbarer Energie ist.
In Szenario A2 wird im Gegensatz dazu eine heterogene Welt entworfen, die starke regionale Unterschiede aufweist – sowohl was Produktivität als auch was Einkommen betrifft. Die Bevölkerung wächst auch hier, neue Technologien werden aber langsamer entwickelt als in A1.
Szenario B1 beschreibt eine global koordinierte nachhaltige Entwicklung. Die Welt rückt zusammen, es kommt zum gleichen Bevölkerungswachstum wie in der A1-Modellgeschichte. Wirtschaftlich ist dieses Szenario geprägt von einer Verringerung des Materialverbrauchs und der Einführung von sauberen und ressourcenschonenden Technologien.
In der Familie B2 bestimmt wie in B1 die nachhaltige Entwicklung die Zukunft. Anders als in B1 und ähnlich wie in A2 wird die Nachhaltigkeit jedoch nicht innerhalb eines globalen Konzepts verfolgt, sondern regional angepasst. Das Bevölkerungswachstum ist größer als bei den Familien A1 und B1, jedoch geringer als in A2. Die ökonomische Entwicklung ist ebenso langsamer als in A1 und B1, allerdings bedingt die Gewichtung regionaler Unterschiede eine größere Vielfalt technologischer Innovationen.
An den elementaren Unterschieden zwischen den vier Szenariofamilien lässt sich erahnen, warum es eine derart große Spannbreite in den Ergebnissen der Klimaberechnungen gibt. Je nachdem von welcher gesellschaftspolitischen Entwicklung man ausgeht, ändern sich die Faktoren für die Berechnungen so signifikant, dass die Ergebnisse stark differieren.
Im günstigsten Szenario, nämlich B1, rechnen Wissenschaftler mit einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um ca. 1,8 °C. Im ungünstigsten Fall (je nach Berechnungsgrundlagen A2 oder ein Szenario aus A1) könnten es sogar um die 4 °C Temperaturanstieg sein. Zudem geht man davon aus, dass in höheren Breiten die Temperaturen stärker steigen werden als in Nähe des Äquators. Generell sind die Auswirkungen der Klimaveränderungen regional sehr unterschiedlich. Einfache kausale Erklärungsversuche sind bei weitem nicht ausreichend, um die Phänomene des Klimawandels zu erfassen. So heißt ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auch nicht notwendigerweise, dass es keine Kältewellen mehr geben wird.
Quelle: IPCC
5 vor 12 – Auswirkungen des Klimawandels
2015 unterzeichneten mehr als 170 Staaten das Pariser Klimaabkommen und verpflichteten sich zu dem Ziel, den Temperaturanstieg auf „well below 2°C“ zu begrenzen. Zwei Grad Celsius oder 3,6 Grad Fahrenheit – das mag zunächst nicht viel klingen, doch ähnlich wie beim menschlichen Körper machen wenige Grade Abweichung in der Temperatur auch für die Erde einen signifikanten Unterschied. Ein durchschnittlicher gesunder Mensch hat mit etwa 37 °C seine normale Körpertemperatur. Zwei Grad weniger und er steht an der Grenze zur Untertemperatur. Zwei Grad mehr und er hat Fieber. Ähnlich kritisch wie für den Körper können geringfügig erscheinende Temperaturveränderungen für das Leben auf der Erde sein. Wenn die globale Durchschnittstemperatur steigt, zieht das folgenschwere Konsequenzen nach sich, welche die Menschheit direkt oder indirekt betreffen werden.
Wetterextreme wie Hitzewellen und Starkniederschlag gehören dazu bis hin zu Naturkatastrophen wie Tsunamis und Wirbelstürme. Durch das Abschmelzen von Eis kommt es zu einem Anstieg des Meeresspiegels, der niedrige Küstenbereiche bedroht. Hierbei sind nicht nur Holland oder Venedig betroffen, die beide schon lange mit dem steigenden Meerespegel zu kämpfen haben: Von den zehn bevölkerungsreichsten Metropolen der Erde liegen sieben in niedrigen Küstengebieten – zwischen 4 und 16 Meter über dem Meeresspiegel. Darunter sind z.B. Tokio, Shanghai und New York City. Während die Meere sich ausbreiten, fehlt das Wasser an anderen Stellen: dort, wo es jetzt schon heiß und trocken ist, wird es noch heißer und noch trockener, was sich folgenschwer auf die Landwirtschaft auswirken wird. Höhere Temperaturen begünstigen Schädlinge und Krankheitserreger. Ökologische Veränderungen ziehen gesellschaftliche nach sich: Menschen, deren Lebensraum sie nicht mehr erhalten kann, werden dorthin migrieren, wo sie sich bessere Lebensbedingungen erhoffen.
Schmelzendes Polareis hebt den Meeresspiegel.
New York, das im Meer versinkt, Kalifornien, das zur unbewohnbaren Wüstenlandschaft verkümmert – was klingt wie Motive aus Filmen von Roland Emmerich ist keineswegs nur Katastrophenkino. So abstrakt es für manche noch immer klingen mag, der Klimawandel ist längst sichtbar und messbar geworden. Klimaszenarien wie die vom IPCC sind ein Wissen über die Zukunft, das es möglich und unumgänglich macht, in der Gegenwart zu handeln. Damit die Zukunft, die sie beschreiben, so nicht eintreten wird.
Ausführliches Informationsmaterial zum Thema sowie Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels finden Sie auf folgenden Websites: